_ 'Mohn' (backen und bauen), Berlin 1987-90 | Ulrike Grossarth

'Mohn' (backen und bauen), Berlin 1987-90

 

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‚Mohn’- ( backen und bauen) 1987 – 90 Seit 1987 interessierten mich die Architekturmaßnahmen der Nationalsozialisten in Berlin, vor allem die Pläne zur Umgestaltung der Stadt zur Hauptstadt ‚Germania’. Der Zentralpunkt der Planung war die sogenannte ‚Große Halle’, ein gigantischer Kuppelbau, zu dem Zufahrts- und Paradestraßen geplant waren, die im Achsenkreuz angelegt werden sollten. Auf einem Dekorationsvorschlag für einen Festtagstisch aus einem Kochbuch der 30er Jahre sah ich strukturell das Gleiche; nämlich als zentrale ‚Plastik’ einen Napfkuchen, von dem axial Schmuckbänder zu den Tischecken laufen, an deren Ende kleine Kränze befestigt sind. Die Szene wirkte auf mich wie die Abbildung des Architekturmodells von Albert Speer. Ich bearbeitete dieses Motiv als große Fotokopie mit Tusche und Dammarharzfirnis. Während einer Reise nach Oświęcim fand ich im dortigen Archiv ein Foto von Carl Clauberg, Lagerarzt in Auschwitz, mit einem Napfkuchen im Garten stehend. Diese Kombination schockte mich und erhellte mir mentale, unbewusste Zusammenhänge. Ich erweiterte daraufhin die Arbeit und es entstand das gesamte Ensemble von sechs zusätzlichen Bildern. Ich wollte durch die anderen Bildmotive Hinweise und Assoziationen hinzufügen, um die für mich nie wieder rückgängig zu machende Überführung oder besser Pervertierung von einfachen Dingen zur Erscheinung zu bringen. Im Kleinen wie im Großen das Gleiche: vergrößerte, aufgeblasene Proportionierung. Der Formkanon des bürgerlichen Milieus wird angewandt, in seiner konventionellen Starre und der hintergründigen Ambivalenz. So hat zum Beispiel die Dose auf dem Tisch der den Teigzopf flechtenden Person große Ähnlichkeit mit den Zyklon B Dosen im Museum Auschwitz. Unterstrichen wird das auch durch den Text aus den Erinnerungen von Albert Speer, der sein letztes Treffen mit Hitler 1945 im Führerbunker am Potsdamer Platz schildert, und dabei vom Mobiliar der Räume und davon spricht, wie Eva Braun ihm Kuchen, Konfekt und dazu Sekt offeriert. Sogar die Marke des Sektes wird überliefert - Versuch eines großbürgerlichen Ambientes unter der Erde.